Alex Marzano-Lesnevich: The Fact of a Body

Alex Marzano-Lesnevich: The Fact of a Body

Eigentlich lese ich keine Thriller. Aber in einer Buchrezension fand ich das Grundsetting der Erzählung so spannend und das Wissen darum, dass Alex eine non-binäre Person ist, so stark, dass ich mich trotz Thriller-Ankündigung doch dazu entschieden habe, das Buch zu lesen. Um es direkt vorweg zu nehmen: ich habe es nicht bereut. Was auch daran liegen mag, dass ich bezweifele, dass es sich um einen Thriller handelt.

Der Roman von Alex Marzano-Lesnevich diskutiert für mich eine wichtige, gesellschaftlich äußerst relevante Frage: Welche Instanzen können darüber bestimmen, welche Erzählung in der Gesellschaft von einem Ereignis gilt? Wie wird darüber entschieden, wann und wo eine Erzählung beginnt, mit allen Konsequenzen, die dies für das Leben von Menschen hat?

Inhaltlich sind in dem autofiktionalen Roman zwei Erzählungen miteinander verwoben. Das ist zum einen der Bericht von Alex Marzano-Lesnevich über das eigene Aufwachsen und die sexualisierte Gewalt, die der Großvater an Alex und der Schwester über Jahre ausgeübt hat.
Und zum anderen ist dies das Erzählen des Lebens einer zum Tode verurteilten Person, die ein Kind ermordet hat und sich selbst als pädophil bezeichnet. Alex, überzeugt gegen die Todesstrafe eintretend, arbeitet nach dem Studium der Rechtswissenschaften in einer Kanzlei, die sich darauf spezialisiert hat, Menschen im Todestrakt dort herauszubekommen. Alex erster Fall im Praktikum in der Kanzlei ist dieser – und bringt Alex an die Grenze der eigenen Überzeugung in der Frage danach, ob es die Todesstrafe weiter geben solle oder nicht.

Das Buch verwebt mit Zeitsprüngen diese beiden Ausgangssituationen, die in der Person von Alex zusammenlaufen. Es zeigt auf, inwieweit auch das eigene Leben eine prägende Grundlage ist für beispielsweise rechtliche Bewertungen. Ich habe noch kein Buch gelesen, in dem sexualisierte Gewalt so explizit angesprochen wird, ohne dabei voyeuristisch zu sein und wie explizit deutlich gemacht wird, wie das soziale Umfeld, in diesem Falle die Familie, sich dem Wissen mehr und mehr verweigert und Alex alleine damit ist. Gleichzeitig macht das Buch deutlich, wie tief Erfahrungen in den Körper eingeschrieben sein können, ohne dass dies den Menschen selbst noch reflektierend bewusst sein muss – trotzdem aber ist es da und prägt das eigene Leben und Erleben.

Der Roman ist nicht zuletzt auch eine differenzierte Kritik an Recht an sich und an US-amerikanischen Rechtsverfahren im Besonderen. Eine Quintessenz für mich aus dem Roman ist es, dass es immer eine Frage ist, ab wann eine Geschichte erzählt wird, also wie lang zurück eine Erzählung geht, wieviel Kontext eine Rolle spielt und so weiter. Und zum zweiten welche erzählte Geschichte als relevant angesehen und bewertet wird, beispielsweise in Rechtsverfahren. Der Roman macht deutlich, dass es weder die eine Geschichte gibt, noch dass alle Geschichten erzählbar wären. Er regt dazu an, darüber nachzudenken, wie weit wir ein Kontextwissen zulassen, wie weit wir anerkennen, dass jede Geschichte, egal wie stark sie auch rechtlich autorisiert ist, letztendlich doch nur eine Geschichte ist – mit immensen Konsequenzen bis hin zur Todesstrafe. Für alle diese Elemente, die dieser Roman beinhaltet, ist er für mich sehr lesenswert.

Was sonst noch?
Es ist, und das wäre die Einschränkung, ein recht melodramatisch aufgebauter, Roman, der einem creative-writing-Schema dazu, wie ein Roman zu schreiben ist, folgt. Er hat ein wenig zu viel Pathos für mich, besonders am Ende. Das alles aber soll nicht davon ablenken, dass es sich unbedingt lohnt, ihn zu lesen – vielleicht ist er dadurch auch einfacher lesbar am Ende.
Dass die schreibende Person sich als non-binär versteht, spielt letztendlich nicht wirklich eine Rolle in dem Roman. Daher bin ich umso froher, dass ich ihn trotzdem gelesen habe, auch wenn dies eine der Motivationen dafür war, denn die oben genannten Quintessenzen, die ich aus dem Roman mitnehme, wiegen schwer für mich. Auch die Explizitheit des Umgangs mit innerfamiliärer sexualisierter Gewalt, die Transparenz, die Alex Marzano-Lesnevich dafür wählt, überzeugen mich sehr.

[Rezension von Lann Hornscheidt]

 

Alex Marzano-Lesnevich (2017): The Fact of a Body. New York: Flatiron Books
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Von Alex Marzano-Lesnevich ist auf Deutsch bei w_orten & meer erschienen: körper_sprechen. Mein genderqueeres Suchen

Copyright Coverfoto THE FACT OF A BODY © 2017 von Alexandria Marzano-Lesnevich. Verwendet mit Genehmigung von Flatiron Books. Alle Rechte vorbehalten.