Akwaeke Emezi: The Death of Vivek Oji

Akwaeke Emezi: The Death of Vivek Oji

Vivek, das erwachsene, um die 24 Jahre alte Kind von Kavita und Chika, liegt eines Tages nackt in Stoff gehüllt und tot auf der Veranda des Hauses der Eltern und wird dort von Kavita, der Mutter, gefunden. Die Geschichte beginnt mit dieser Szene mit Viveks Leiche – und von dieser aus werden mit wechselnden Perspektiven das Leben von Vivek von seiner Geburt an oder sogar davor bis zu seinem Tod erzählt. Wie die Leiche auf die Veranda gekommen ist, ist vollkommen unklar und bringt die Mutter dazu, sich nicht mit Wortlosigkeiten und halben Erklärungen zufrieden zu geben, sondern nach Antworten zu suchen zu dem Tod – Antworten, die sie vielleicht gar nicht hören will.

In den im Buch sich abwechselnden Stimmen kommen Vivek selbst – lebend als auch post mortem – als auch Viveks Kusin Osita vor allem zu Wort. Dazwischen finden sich längere Berichte, die eher die Perspektive von Kavita, der Mutter von Vivek, wiedergeben, sowie erzählende Abschnitte, die Kavitas Erzählungen ins Verhältnis setzen zu den Wahrnehmungen und Erlebnissen einer erweiterten Bio-Familie und dem Freundeskreis um Vivek, zu dem in gewisser Weise auch Osita, der Kusin, zählt. In dieser Form des Erzählens geht der Roman an seinem Ende über den Beginn, dem toten Körper von Vivek auf der Terrasse der Eltern – hinaus, wenn er erzählt, wie unterschiedlich die verschiedenen Menschen, denen Vivek nahestand mit dem Tod und dem Weg hin zu diesem Tod umgehen – wiederum Kavita und Chika aber neben Osita auch die Eltern von Osita sowie die Freundinnen von Vivek, vor allem Juju.

Der Roman entfaltet ein Bild einer im Süden Nigerias angesiedelten Gemeinschaft, bestehend aus der Bio-Familie von Vivek sowie den sozialen Kontakten der Eltern. Dazu gehört auch eine Gruppe von ‚Niger-Wives‘ – Ehefrauen von nigerianischen Männern, die selbst nicht aus Nigeria stammen. Im Verlaufe der Geschichte entfaltet sich so ein soziales Panorama sozialer Beziehungen. Es wird immer deutlicher, wie wenig die Eltern vom Leben von Vivek wissen und wie wenig Vivek darauf vertraut, dass die Eltern mit seinem Leben außerhalb des Elternhauses umgehen könnten. Auffälligkeiten, die nicht in Zweigendernormen hineinpassen, werden von den Eltern ignoriert (Chika) oder über-redet (Kavita) und auf diese Weise werden mögliche Hinweise auf ein Leben von Vivek jenseits der Zwei-Gender-Hetero-Normen der Eltern weggenannt, weggespürt, ignoriert. Das Leben von Vivek findet zunehmend, nachdem die hochtrabenden Bildungs-Zukunftsvorstellungen der Eltern sich nicht erfüllen und Vivek eher psychopathologisiert wird von ihnen, außerhalb des Elternhauses statt. Vivek und Osita hatten schon als Kinder eine enge Beziehung und diese setzt sich auch fort in der Jugend und der Zeit des jungen Erwachsen-Seins – in unterschiedlichen Formen und bis zu Viveks plötzlichem Tod.

Es gibt Ahnungen beim Lesen, was passiert sein könnte, was Viveks Geheimnis gegenüber den Eltern ist – letztendlich klärt es sich erst am Ende auf, wo nicht nur deutlich wird, wie wenig die Eltern von ihrem Kind eigentlich wussten – trotz aller Andeutungen auf verschiedenen Ebenen – und vielleicht auch wissen wollten. Der Move, den die Erzählung an diesem Punkt macht, ist äußerst spannend, finde ich – doch ich will hier nicht zu viel erzählen.
Es lohnt sich auf jeden Fall den Roman zu lesen und selbst einzutauchen in die Vielschichtigkeit der Geschichte.

Für wens ist das Buch zu lesen zu empfehlen?
Menschen, die sich mit intergenerationellen Konflikten beschäftigen wollen, mit den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten Verbindungen herzustellen und sich zu verstehen. Für alle Personen, die nicht über Cis- und Zweigendernormen privilegiert sind, ist das Buch auf jeden Fall wichtig und spannend!

Was sonst noch?
Akwaeke Emezi ist offen non-binär positioniert, was in der internationalen Literaturszene ja schon eine sehr große Ausnahme ist. Die Homepage von Akwaeke Emezi hat sehr viele Links zu spannenden Essays – die teilweise auch im Kontext des Lesens dieses Romans interessant sind, insbesondere eines (click) mit spannenden Überlegungen zu der Igbo-Kategorisierung Ogbanje von Menschen jenseits von Zweigenderung und als geisthaftes, vererbtes Wesen.
Im Roman selbst war mir der Schwerpunkt auf Darstellungen von Sexualität zu stark und vor allem zu stark angelehnt an Zweigendernormen und -imaginationen. Aber das ist ein kleinerer Punkt zu dem größeren Eindruck von einem wirklich spannenden und wichtigen Roman.

[Rezension von Lann Hornscheidt]

 

Akwaeke Emezi (2020): The Death of Vivek Oji. New York: Riverhead Books.

Link zum Roman auf der Homepage der Penguin Random House Verlagsgruppe

Link zur Website von Akwaeke Emezi

Copyright Coverfoto: Penguin Random House Verlagsgruppe