Fremdbezeichnungen, Abwertungen, psychische und physische Gewalt bis hin zum Mord: Tina Makeretis Roman schildert drastisch und eindringlich die Vielschichtigkeit und das bedrückende Ausmaß von Unterdrückungsmechanismen. Bei der Übersetzung von Where the Rēkohu Bone Sings hat sich darum für mich die Frage gestellt, wie ich die Erfahrungen der Figuren abbilden und gleichzeitig einem Anspruch auf diskriminierungskritische Sprache gerecht werden kann. Wie also umgehen mit der Zuweisung von klassischen Rollenbildern und sexistischer Figurensprache? Wie mit diskriminierendem Vokabular oder rassistischen Witzen?
Sie gehören zur Lebensrealität der Figuren, stellen einige der zentralen Themen des Romans dar. Darum wurden sie bei der Übersetzung dort, wo sie dem Weltbild von Figuren zuzuordnen sind, mit aller im Roman angelegten Drastik wiedergegeben.
Ebenso wurde die im Ausgangstext umgesetzte Zweigenderung übernommen, in der sich alle Figuren verorten.
Entgenderte Sprache wurde hingegen dort umgesetzt, wo auch der Ausgangstext durch die Eigenheiten der englischen Sprache genderunspezifisch ist. So sind Berufsbezeichnungen wie »teacher«, »receptionist« oder »shop owner« im Gegensatz zu »Lehrer«, »Rezeptionist« oder »Ladenbesitzer« weniger oder nicht androgegendert zu lesen, weshalb ich versucht habe, für die Übersetzung Alternativen wie »Lehrende«, »an der Rezeption« usw. zu finden. Ähnlich verhält es sich mit Wörtern wie »no one« oder »somebody«, die im Gegensatz zu den oft gewählten Entsprechungen »keiner« und »jemand« nicht gendern. Da diese Entgenderung auch im Ausgangstext weder grafisch durch beispielsweise einen Asterisk (*) noch semantisch, etwa durch die Pronomen »they/them«, markiert ist, habe ich mich in der Übersetzung um möglichst unauffällige Lösungen wie »kein Mensch« oder Passivkonstruktionen bemüht.
In Absprache mit w_orten & meer und der Lektorin Marianne Eppelt habe ich mich für eine ungeschönte Wiedergabe der Rassismen entschieden, denen die Figuren aller Zeitebenen durch Sprache und Handlungen ausgesetzt sind. Darum spricht eine Figur beispielsweise,
wenn sie aus einer alten Broschüre zitiert, von der »überlegenen Rasse« der Māori und wird an anderen Stellen ein rassistischer Witz
oder ein Begriff wie »Chinamen« reproduziert. Außerhalb der direkten Figurenrede war es für uns im Sinne des verbindlichen diskriminierungskritischen Schreibens aber wichtig, die deutschsprachigen Entsprechungen für Wörter wie »race«, »bush« und
»tribe« an aktuelle rassismuskritische Diskurse anzupassen und eben nicht mit »Rasse«, »Busch« und »Stamm« zu übersetzen.
Leider ist die Geschichte der Literaturübersetzungen voller Beispiele dafür, dass das Bestreben, einen Text in einem anderen Sprachraum
zugänglich zu machen, die Gefahr birgt, durch exotisierende oder trivialisierende Übersetzungsentscheidungen das Bild von einem
»Anderen« bzw. »Fremden« heraufzubeschwören.
Vor diesem Hintergrund stellte die Übertragung der zahlreichen Māori- und Moriori-Begriffe eine besondere Herausforderung dar. Viele Wörter aus dem Te Reo Māori haben Eingang in das neuseeländische Englisch gefunden und werden im Ausgangstext darum nicht erläutert (s. Anmerkung der Autorin zur Sprache). Bei der Übersetzung musste daher zwischen der Zugänglichkeit und der Gefahr der Trivialisierung von Begriffen verhandelt werden, da viele sich auf Konzepte und Handlungen beziehen, für die es weder im Englischen noch im Deutschen eine direkte Entsprechung gibt.
Wo es möglich ist, habe ich eine ungefähre Erklärung der Wörter im Text angedeutet. Darüber hinaus wurde das Glossar der Autorin
durch ein weiteres am Ende dieses Textes ergänzt, mit Wörtern, die für neuseeländische Lesende keiner Erklärung bedurften. Auch dies kann aber nur als Annäherungen an die Bedeutung der Begriffe verstanden werden und es ist Tina Makeretis ausdrücklicher Wunsch, sich durch eigene Recherche zu unklaren Konzepten mit den Kulturen der Māori und der Moriori auseinanderzusetzen.
Das Anliegen, eine exotisierende Entfremdung zu vermeiden, habe ich auch bei der Übersetzung der Imi-Passagen verfolgt. Imis Sprache ist durch verschiedene Marker als Varietät markiert. Welche Auswirkungen die direkte Übertragung dieser Marker haben kann, zeigen alte Übersetzungen von Sprachvarietäten wie etwa in »Vom Winde verweht«: Statt einen sprachlichen Reichtum anzuerkennen, markieren sie die Figuren als unfähig sich auszudrücken und tragen so zur Reproduktion der kolonialen Vorstellung von einem »entwickelten« Zentrum und einer »unterentwickelten« Peripherie bei.
Einer der Varietätsmarker für Imis Sprache sind von der Norm abweichende Flexionsendungen, die aber im Englischen weniger auffällig sind als im Deutschen. So ist »he worry« statt »he worries« auch in einigen Sozio- und Dialekten zu finden. Eine Übertragung zu »Er sorgen sich« wäre eine deutlichere Abweichung von der Sprachnorm und würde die Figur als weitaus sprachlich eingeschränkter markieren. Um diese Verschiebung in der indirekten Figurencharakteristik zu vermeiden, habe ich darauf verzichtet, Imis Sprache durch fehlende oder als fehlerhaft empfundene Verbformen wiederzugeben. Stattdessen habe ich auf von der Norm abweichende Präpositionen und Kollokationen gesetzt und so aus »he worry« etwa »er hat Sorgen über« gemacht. Weitere Strategien, um eine Sprachvarietät kenntlich zu machen, waren »schiefe« Redewendungen (»Die Wörter laufen mir nicht leicht über die Lippen«) die Bildung von Komparativen mit »mehr« (»mehr schnell«) und Dopplungen (»rasch-schnell«) sowie die Verwendung von abweichenden Adjektivendungen (»nervösig«, »sorgig«). Die meisten dieser Markierungen sind im Ausgangstext angelegt. Dennoch habe ich an einigen Stellen weitere hinzugefügt, um die in der Übersetzung nicht übernommenen abweichenden Verb-Endungen auszugleichen.
Durch diese Übersetzungsstrategie soll – wie es in der Vorlage angelegt ist – die poetische Wirkungskraft in den Vordergrund gerückt
werden, die vor allem in Imis Wortneuschöpfungen wie »hellfire buttonmen« (Verdammungs-Hochknöpfmenschen) und »half peopled« (halbgemenschten) steckt. Ich hoffe, es ist mir geglückt, einem deutschsprachigen Lesepublikum einen unverstellten Blick auf Tina Makeretis wunderbaren Roman zu eröffnen.
Ich danke allen, die mich auf dem Weg dahin begleitet, unterstützt und beraten haben: Tina Makereti, Marianne Eppelt, Anna Bechtloff, Sharif Bitar, Ja’n Sammla, Lann Hornscheidt, Marie Alpermann, Stefanie Jacobs, Antje Rávik Strubel, Victor Primavesi, Tim Lohmann und Ilja.
Friederike Hofert im Frühjahr 2022