Daniela Dröscher: Lügen über meine Mutter

Daniela Dröscher: Lügen über meine Mutter

Ein äußerst flüssig geschriebener Roman, die mitunter richtig Spaß macht zu lesen. Doch halt! Was genau macht da Spaß? Das leise Lachen, was ich zu Beginn ab und zu hatte, weil mir alles in der Familie fast zu absurd vorkam, ist mit der Zeit mehr und mehr meinem Entsetzen gewichen – ich fand es teilweise fast unaushaltbar.

Worum geht es also? Der Roman erzählt die Jahre 1983 bis 1986 aus der Sicht von Ela, einem am Anfang 4- oder 5-jährigen Mädchen, welches auf die Konstellation ihrer Eltern blickt. Nach einem Jahr kommt noch ein weiteres Kind hinzu, welches jedoch nur eine Randnotiz ist. Die Kapitel des Aufwachsens in dieser Konstellation – es gibt auch Großeltern mit höchst unterschiedlichen Rollen – aus Sicht des Kindes werden manchmal unterbrochen von eher jetztzeitigen Metakommentaren. Dies können aktuelle Gespräche mit der Mutter sein oder auch Reflexionen der heutigen Ela zu dem gerade Aufgeschriebenen. Diese kürzeren Zwischenkapitel sind auch durch eine andere Schriftart deutlich abgesetzt.

Das Buch lädt also dazu ein, für vier Jahre mit der Familie zu leben und zu verstehen, wie die Sicht eines Kindes auf das ist, was die Eltern miteinander leben. Dies ist stark geprägt von einer väterlichen – fast würde ich sagen – Obsession damit, dass die Mutter zu dick sei und abnehmen müsse. Der Roman zeigt sehr überzeugend, wie der Blick des Vaters auf die Mutter nicht nur in diese übergeht, sondern auch auf das Kind, welches die eigene Mutter ab irgendeinem Punkt auch nur noch als zu dick empfindet und sich wünscht, dass die Mutter entweder dünner sei oder lieber nicht auftauche bei Sportveranstaltungen oder vor der Schule. Jeder Blick anderer wird als Blick auf das Zu-Dick-Sein der Mutter gedeutet und dies als ein Fakt so hingenommen auch von Ela, dass die Entscheidung des Vaters, dass die Mutter nicht mit in den Urlaub fahren könne beispielsweise, von dem Kind nicht wirklich hinterfragt wird.

Dies wurde für mich beim Lesen mehr und mehr unaushaltbar: die krasse direkte Gewalt, die der Vater der Ehefrau antut mit seinem Blick und seinen normativen Vorgaben, wie die Mutter auszusehen habe und wie peinlich es sei, wie sie aussieht. Er gibt ihr beispielsweise die Schuld für seine berufliche Nicht-Beförderung, weil sie nicht vorzeigbar sei. Er wirft ihr hemmungslose Geldausgabe vor, die er letztendlich selbst auch vollzieht – ohne, dass die Mutter in gleicher Weise darauf re_agiert wie er auf sie. Neben diesen absurden männlichen, heterosexuellen Anwürfen fand ich vor allem das Re_Agieren der Mutter, die zwar manchmal verbal mit ihm streitet, letztendlich sich aber immer unterordnet und eine Diät nach der anderen ausprobiert, schwer auszuhalten. In dieser Lesart ist der Roman ein Paradebeispiel gelebten Patriarchats – und der Verinnerlichung von Diskriminierung durch die Mutter – die punktuell auch auf die Tochter übergeht. Denn diese übernimmt nicht nur die Argumentation des Vaters an einigen Stellen, sondern wird ebenso ab einem gewissen Alter mit dem patriarchalen Blick des Vaters fixiert.

Es ist beeindruckend, wie Daniela Dröscher es schafft, die Perspektive des Mädchen beizubehalten und nicht aus der Rolle zu fallen. Denn das Mädchen liebt den Vater auch, vermisst den Vater, was mir manchmal schier unmöglich erscheint im Angesicht dessen, was dieser für einen Unfrieden in die Familie trägt. Umso hilfreicher beim ‚Aushalten‘ sind die Zwischenkapitel, in denen Daniela Dröscher u.a. auch verschiedene Thesen dazu durchspielt, warum der Vater so agiert und die Mutter eben auch. Patriarchat fällt als Begriff dabei an keiner Stelle, scheint für mich zumindest bei vielen Erklärungsansätzen aber durchaus durch.

Die Auflösung, so viel sei verraten, hat mich dabei nicht wirklich überzeugt, sie kam mir zu spät vor und dadurch zu aufgesetzt nach so langen Zeiten, wo der Vater beispielsweise auch das Erbe der Mutter für seine Großbürger*innentums-Allüren verprasst und die Mutter dies mit sich machen lässt. Auch die widerständigen Strategien der Mutter, ihr eigenständiges Handeln zum Ende hin, überzeugt mit auch nicht vollends.

Was noch?

Der Roman ist auf jeden Fall ein fast prototypisches Beispiel für heteronormative Realitäten – von der cis-männlichen Dominanz und Verallgemeinerung des cis-männlichen Blicks bis hin zu den ewig gleichen und sich auch auf die Tochter übertragenen Ängste und Misstrauen, dass die Elternteile heimlich andere Liebesbeziehungen haben.

Beim Nachdenken darüber, ob ich solche Konstellationen kenne, sind mir vor allem entsprechende Zurichtungen von Müttern an ihren Töchtern eingefallen. Und erst nach längerem Überlegen fiel mir ein befreundetes Hetenpaar beim Studium wieder ein, wo der Mann die Frau auch die ganze Zeit essensmäßig kontrolliert und öffentlich gemaßregelt hat. Ein also recht weit verbreitetes, fast selbstverständlich anmutendes patriarchales Alltagsphänomen wird hier also erzählerisch gekonnt vorgeführt. Das Empowernde des Ausbruchs aus diesen Gefügen hätte für mich deutlicher nuanciert werden können, um nicht bei einer doch erdrückend frustrierenden Analyse der Verinnerlichung sexistischer Diskriminierung stehen zu bleiben.

[Rezension von Lann Hornscheidt]

 

Daniela Dröscher (2022): Lügen über meine Mutter. Köln: KiWi.

Link zum Roman auf der Homepage des Verlags

Copyright Coverfoto: KiWi