Deborah Feldman: Judenfetisch

Deborah Feldman: Judenfetisch

Nach Unorthodox und Überbitten ein neues Buch von Deborah Feldman, in einem neuen Verlag (Luchterhand).

Wie Unorthodox und Überbitten ist auch Judenfetisch ein autobiografisch gefärbtes Buch. Während die beiden erstgenannten Bücher das Aufwachsen der Autorin in einer orthodox-jüdischen Enklave in New York behandeln, ihr Weggehen aus diesem Kontext und ihr Übersiedeln bis nach Berlin, ist das neue Buch dem Sein der Autorin in Berlin gewidmet. Und im Gegensatz zu den beiden ersten Büchern ist dieses Buch in meiner Lesart eher essayistisch angelegt – die einzelnen Episoden wären durchaus auch einzeln lesbar.

In vielerlei Hinsicht schließt das Buch an ihre wichtigen vorangegangenen Bücher an: der klare, fließende Stil, die Fähigkeit der Autorin, Fragen zu struktureller Diskriminierung auf den Punkt zu bringen und eigene Erfahrungen zu übergreifenden Thesen zu abstrahieren, gerne auch provokant, auf jeden Fall jenseits eines mainstreamigen Erinnerungsdiskurses – Judenfetisch eben.

Deborah Feldman zu lesen ist, eigene Vorannahmen ebenso gegen den Strich zu bürsten wie die behaglich-bequeme deutsche Selbstvergewisserung, doch wirklich alles zu machen gegen Antisemitismus.

Die zentrale übergreifende Frage dieses Buches ist es, was Jüdisch-Sein ausmacht und damit natürlich auch, wie sich Antisemitismus äußert – für die Autorin selbst und für die wechselnden Gegenüber, mit deren Vorstellungen davon, was Jüdisch-Sein sei, sie in vielen verschiedenen Alltagssituationen konfrontiert ist. Neben der Frage, was Antisemitismus ist und wie er sich zeigt und zementiert, geht es auch um das in Deutschland stillschweigend angenommene identifikatorische Verhältnis von jüdischen Menschen mit Israel. Es geht um die Frage einer späten Konvertierung zum Judentum, um Sprachmacht und Autorität, um Scham, Vergangenheitsüberwältigung, Privilegien und Teilhabe am Deutschsein. Das alles und noch viel mehr verhandelt Deborah Feldman in einzelnen Episoden, bei denen sie eigene fiktiv-reale Erfahrungen zum Ausgangspunkt für ihre komplexen Überlegungen nimmt.

In gewisser Weise arbeitet die Autorin sich so an deutschen Verhältnissen, deutschen Normalannahmen und unausgesprochenen Übereinkünften ab dazu, was Jüdisch-Sein ausmacht, ausmachen darf und wie die nicht-jüdische Mehrheitsgesellschaft damit umzugehen hat. Und dies bringt Deborah Feldman wunderbar auf den Punkt – und eröffnet so kritisch hinterfragende Perspektiven auf deutsche nicht-jüdische Selbstverständnisse, Selbstbilder, Bezugnahmen auf Jüdisch-Sein und Antisemitismus und auf die Vermarktung und den Umgang mit deutscher Genozid-Geschichte in Form von Abwehr, offiziellen Erinnerungskulturen, öffentlichen Bekenntnissen und Schamgefühlen.

Alles dies ist komplex geschildert und entzieht sich jedem Wunsch nach einfachen, geraden Antworten und moralischen Urteilen. Stattdessen wird an jede These noch mal eine neue Überlegung angeknüpft, die zeigt, dass es keine einfachen Lösungen und Zuschreibungen geben kann – nicht zum Jüdisch-Sein, nicht zum Jüdisch-Sein in Deutschland und nicht zum so gerne sich als von Antisemitismus befreit verstehenden Deutsch-Sein.

Letztendlich ist das Buch auch ein fiktiv_real sehr offener Bericht über die eigenen Desillusionierungen dazu, einfach nur Mensch sein zu wollen hier in Deutschland, der orthodoxen Gemeinde entronnen und ohne im Vorhinein schon sozial-kategorial vereinnahmt und festgeschrieben zu sein. Doch dies ist nicht so einfach, wie es vielleicht sein könnte oder wie auch Deborah Feldman es vielleicht auf deutsche Verhältnisse projiziert hat. Denn als jüdische Person in Deutschland findet mithin eine jüdische Fetischisierung statt, die sich in Schweigen, Übergehen, Anrufung als Israel-Expertin und ultimative moralische Instanz zu Antisemitismus-Fragen zeigt.

Die Naturalisierung der sozialen Kategorie Jüdisch gilt dabei für alle Seiten – sowohl die sühnenden deutschen Täter*innen- und Mitläufer*innen-KindesKindesKinder als auch am israelischen Zoll bei der Einreise am Flughafen.

Deborah Feldman setzt sich so auch mit den eigenen Vorannahmen dazu auseinander, ob es geht, eine Kategorisierung, die so durch und durch sozial, also durch soziale Machtverhältnisse geschaffen ist, ablegen zu können, ein antikategoriales Leben in Bezug auf Jüdisch-Sein zu führen quasi. Wie schon die beiden voran geschriebenen Bücher ist also auch dieses von einem antikategorialen Grundgefühl geprägt, welches in der gesellschaftlichen Realität immer wieder auf Sand läuft oder an Felsen zerschmettert.

Das Israel-Bild von in Deutschland lebenden Menschen mit jüdischem Hintergrund, wie Deborah Feldman es vorsichtig benennt aufgrund ihrer Erfahrungen mit den unterschiedlichsten Bezugnahmen auf die Kategorisierung jüdisch, ist beispielsweise ein immer wiederkehrendes Thema des Buches. Die Autorin formuliert, dass es weniger um Israel als eine Realität gehe, sondern dass Israel eine deutsche Projektionsfläche sei, eine Fata Morgana, die nicht näher betrachtet werden dürfe. Nicht nur diese Überlegungen sind auch im Moment – Oktober 2023 – höchst aktuell und bilden einen wichtigen und differenzierten Beitrag in einer politischen Öffentlichkeit, die lieber binär nach richtig und falsch zuordnet. Solchen einfachen Zuordnungen entzieht sich der Text vehement und wirft mich als nicht-jüdische deutsche Person auf eine Reflexion meiner eigenen Vorannahmen zurück.

Das ist nicht nur lesenswert, sondern äußerst lehrreich und nachhaltig alle einfachen vorgeblichen Wahrheiten auf- und durchrüttelnd. Das Buch ist also sehr zu empfehlen – zum Lesen alleine, zum Verschenken und zum heißen und wichtigen, differenzierten Debattieren.

Und was noch?

Eine weitere – neben unzähligen anderen – wichtige, im Buch ausgeführte und mit Erfahrungen und philosophischen Diskussionen unterlegte These ist eine, die vielen kategorie- und identitätskritischen Debatten in unterschiedlicher Form zu Grunde liegt oder auch dort durchgespielt wird: dass eine soziale Kategorisierung, durch Diskriminierungsstrukturen wie genderbezogene Diskriminierung oder Rassismus geschaffen, sich nie von diesem gewaltvollen Beginn der Kategorie vollständig wortwörtlich lossagen kann. Egal, wie reclaimend, positiv, selbst-empowernd eine Kategorisierung, die vordem zur Diffamierung geführt hat und oder auch weiterhin führt, verwendet und wiederangeeignet wird – der Kern des Diskriminierenden ist ihr in jedem Gebrauch eingeschrieben. Denn er wird letztendlich immer wieder auch aufgerufen in allen noch so empowernden Verwendungen. Der Versuch eines Mensch-Seins ohne diese sozialen Zuschreibungen – das führt Deborah Feldman eindrücklich vor – gelingt nicht, so lange die Diskriminierungsstrukturen weiterhin bestehen. Inwieweit die Verwendung ebendieser Kategorien wie jüdisch also auch zum Fortbestand der strukturellen Diskriminierung beitragen ist etwas, was in und mit dem Buch weiter diskutiert werden kann und muss.

[Rezension von Lann Hornscheidt]

 

Deborah Feldman (2023): Judenfetisch. München: Luchterhand.

Link zum Roman auf der Homepage des Verlags

Copyright Coverfoto: Luchterhand/Penguin