Eva Meijer: Vorwärts

Eva Meijer: Vorwärts

Worum geht’s?

5 Menschen zwischen 20 und 30 ziehen Mitte der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts von Paris aus aufs Land. Sie wollen dort zusammenleben: jenseits von Paarnormen, jenseits von einer Menschenfokussierung in Verbindung mit der Natur, dem Land, sich selbst, den Nachbar*innen. Sie verstehen sich als Anarchist*innen und kommen aus unterschiedlichen Lebenszusammenhängen. Vier von ihnen kommen als zwei Heteropaare.

Der erste Teil des Romans von Eva Meijer besteht aus Teilen des Tagebuchs von Sophie Kaizowski und lässt die Lesenden das Leben dieser Gemeinschaft in Blitzlichtern über ein Jahr hinweg vom 1. Mai 1924 bis 23. Mai 1925 begleiten. Sophie Kaizowski erzählt in ihrem Tagebuch von den Alltäglichkeiten des Landlebens, der versuchten Selbstversorgung, den Kontakten zum sozialen Umfeld auf dem Land und zu dem sozialen Gefüge der kleinen Gemeinschaft. Die Sorge darum, genug zu essen zu haben, politische Differenzen sowie das Leben unterschiedlicher Beziehungsformen, Anziehungen und Wünsche prägen dabei Sophies Erleben und Erzählen. Sophie schreibt nicht nur Tagebuch, sondern auch Debattenartikel zum Leben auf dem Land und in einer Kommune. Die Überlegungen hierzu fließen auch in den ersten Teil des Buches ein und geben ihm eine tiefere, politisch-philosophische Dimension, als wenn das Tagebuch ausschließlich um die unterschiedlichen Bedürfnisse menschlichen Nahbeziehens aufeinander formuliert wäre. Aber auch dieser Teil – das Nähe zu einer Person vielschichtig leben zu wollen, die dies nur punktuell will, ist so geschrieben, dass er nicht in Klischees von Paarromantik und Eifersucht verfällt, sondern einen Bogen zu einem umfassend politischen Leben formt. Die ansonsten in der gesellschaftlichen Vorstellung häufig so klar angenommenen Grenzziehungen zwischen Privatem und Politischen verwischen und überlagern sich in diesem ersten Teil überzeugend. Die politischen Diskussionen, die im Tagebuch aufgenommen werden, inspirieren zum Nachdenken über das eigene Leben und seine gelebten oder nicht gelebten Prämissen.

Mir war beim Lesen dieses Teils zudem schmerzlich bewusst, wieviele Diskussionen, Ideen und Versuche sich umfassend zu verbinden – zwischen Menschen und mit Natur – es schon vor hundert Jahren in Westeuropa gegeben hat – und wie abrupt dieses Suchen nach anderen Lebensformen durch die Herrschaft des Nationalsozialismus und dem Ausbruch des zweiten Weltkriegs unterbrochen, gebrochen und verbaut worden ist.

Der zweite, ungefähr gleich umfängliche Teil des Buches ist aus der Perspektive von Sam geschrieben, fast genau 100 Jahre später in den Niederlanden. Sam, inspiriert durch das Tagebuch von Sophie Kaizowski, zieht mit der eigenen Beziehungsperson Jona sowie einem weiteren befreundeten Paar aufs Land in ein Haus, welches ihnen für ein Jahr zunächst überlassen worden ist, solange es nicht verkauft wird. Sam beschreibt das eigene Leben auf dem Land ebenso in Alltäglichkeiten und Versuchen, sich anzufangen selbst zu versorgen.

Auch in dieser Konstellation kommt es relativ schnell zu Reibungen, die auf unterschiedlichen Vorstellungen beruhen, wie das gemeinsame Leben dort aussieht und wie alle sich dort einbringen und agieren. Auch wird deutlich, dass nicht alle gleich glücklich sind und werden mit dem Landleben, so dass die kleine Gemeinschaft recht schnell wieder auseinanderdriftet. Nur Sam bleibt am Ende im Haus zurück. Hier nimmt der Roman noch mal eine spannende Wendung, als Sam sich anfängt für den Erhalt eines örtlichen Waldes zu engagieren und im ländlichen Umfeld andere Aktivistis findet.

Der Roman eröffnet hier noch mal eine Dimension von Gemeinschaft, die über Paarbeziehungen und die Verdoppelung von Paarbeziehungen hinausgeht.

Was sonst noch?

Der Roman ist in einer poetischen Sprache geschrieben, die Geschichte ist leicht zu lesen und nimmt mich als lesende Person mit auf innere und äußere Reisen. Das ist sehr schön zu lesen. Immer wieder werden auch interessante Querverbindungen eingewoben in andere ökologische Bewegungen von Menschen, die sich für den Erhalt von Wäldern beispielsweise einsetzen. Der Roman macht richtig Spaß und regt zu Selbstreflektion an dazu, was die eigenen Lebenswerte und -formen sind.

Ich empfehle ihn warm zum Lesen.

[Rezension von Lann Hornscheidt]

 

Eva Meijer (2023): Vorwärts. München: btb.
Übersetzung von Hanni Ehlers.

Link zum Roman auf der Homepage des Verlags

Copyright Coverfoto: btb