Shida Bazyar: Drei Kameradinnen

Shida Bazyar: Drei Kameradinnen

Drei junge Frauen, ungefähr Mitte 20, zwischen Aufbildung/Studium und beginnenden Karrieren (oder Nicht-Karrieren), treffen sich für ein paar Tage. Sie sind alle drei auf der Hochzeit einer früheren Bekannten eingeladen, mit der sie alle nicht mehr wirklich viel Kontakt haben. Zwei von ihnen, die Erzählerin Kasih und eine zweite Person, Hani, leben noch in der Stadt. Die dritte, Saya, lebt woanders und übernachtet nun ein paar Tage bei Kasih.

Kasih schreibt sich ihre gemeinsame und getrennte Geschichte, ihr Aufwachsen in einer Siedlung, ihre Bildungsgeschichten und politischen Entscheidungen, ihre Ansichten, ihre Diskussionen und ihre Umgangsweisen mit Diskriminierungen in einer Nacht von der Seele, erzählt ihr gemeinsames und unterschiedliches Leben als migratisierte und rassistisch und sexistisch diskriminierte junge Personen und verwebt dies mit dem Jetzt-Zustand von ihnen dreien. Die Erzählung ist in direkter Ansprache an ein weißes Publikum gerichtet, an mich also, mit Erklärungen aber auch Nachfragen dazu, warum mir als weißer lesender Person bestimmte Sachen (zum Beispiel zu den drei Freundinnen) zu wissen potentiell wichtig sei, und warum ich bestimmte Dinge nicht wissen würde und nicht wissen müsste (wie rassistische organisierte Gewalt in der Gesellschaft) – da sie nur peripher oder gar nicht von Relevanz seien in meinem Leben.

Das Erzählen beginnt damit, dass Saya in Untersuchungshaft sei und Kasih die wartende Nacht schreibend überbrückt. Es ist auch klar direkt zu Beginn, dass es einen Brandanschlag auf ein Haus in der Nähe gegeben hat. Die von Kasih erzählte Geschichte schlägt einen weiten Bogen von dieser Jetzt-Situation bis in die Kindheiten und nähert sich so erzählend und verschiedene Narrationen ausprobierend der Jetzt-Zeit wieder an.

Kasih, Hani und Saya habe ich dabei nicht nur als Verkörperungen unterschiedlicher Migrationsgeschichten gelesen (eigene oder die der Eltern, die auch sie selbst in dieser Gesellschaft zu Migratisierten macht), sondern auch als unterschiedliche Umgangsweisen von rassistisch Diskriminierten mit dieser Situation. Auf diese Weise entfaltet der Roman ein großes Spektrum unterschiedlicher Re_Aktionen auf Rassismus, mit jeweils unterschiedlichen Konsequenzen.

Ich fühle mich beschenkt und bin berührt davon, dass Shida Bazyar diesen Roman als Adressierung an weiße Personen wie mich geschrieben hat. Für mich ist es eine Einladung hinzuhören, zu verstehen, nachzuvollziehen und die eigenen stereotypen und rassistischen Vorerwartungen präsentiert zu bekommen und auf diese Weise noch mal neu hinterfragen zu können. Der Roman zeigt, wie tief Rassismus in den Erwartungen selbst beim Lesen eines Romans präsent ist und Bilder und Vorstellungen verfestigt sind, die vielleicht keine anderen Bilder und Vorstellungen mehr zulassen. Letztendlich ist es also auch ein Roman über weiße rassistische Ignoranz und die institutionelle, mediale und diskursive Möglichkeit dazu in dieser Gesellschaft.
Der Roman eröffnet auf diese Weise für mich ein großes Lernfeld und einen Raum für Empathie aber auch eigener Verantwortungsübernahme – in Bezug auf mein eigenes Handeln und Wahrnehmen. Das alles ist sehr spannend aufgebaut und äußerst souverän geschrieben. Auch macht Shida Bazyar an vielen Stellen deutlich, dass auch Diskriminierte zum einen Diskriminierungen auf unterschiedliche Weisen verinnerlicht haben und zum anderen auch prototypisierende Vorstellungen haben und re_produzieren. Shida Bazyar führt in „Drei Kameradinnen“ Rassismus im Alltagsleben eindrücklich vor und eröffnet zugleich einen Reflexionsraum über grundsätzliche Muster von sozialen Kategorisierungen und wie diese potentiell bei allen Menschen angelegt sind.

Auch wenn zu Beginn direkt gesagt wird, worum es als Ereignis geht – eine Brandstiftung – steigt die Spannung bis zum Ende des Romans, wo er aus dem weiten Bogen wieder zu dieser Ausgangssituation zurückkommt, kontinuierlich an.

Es gibt mehrere Aha-Momente für mich beim Lesen, in denen es weniger um die Geschichte der drei Freundinnen geht, als um mich als weiße lesende Person und mein Wissen, meine Vorannahmen und meine lesenden Bedürfnisse, beispielsweise nach der Herkunft der drei Hauptpersonen. Shida Bazyar thematisiert dies explizit und fragt nach, warum dies wichtig sei.

Der Roman ist sehr fesselnd und sehr berührend. Er verändert Wahrnehmungen von sich selbst und von der rassistischen Gesellschaft, in der wir leben.

Unbedingt lesen! Und weitergeben! Und noch mal lesen!

Was sonst noch?

Dies ist der zweite Roman von Shida Bazyar. Auch den ersten Roman fand ich schon grandios. Der zweite nun steht diesem in nichts nach. Auch wenn das schwarz-rot-goldene Cover in Form eines Feuers für mich eher nicht einladend oder Interesse weckend war, hat sich auch dies für mich am Ende als gelungene grafische Umsetzung erwiesen.

Danke, Shida Bazyar, für diesen Roman!

 

[Rezension von Lann Hornscheidt]

 

Shida Bazyar (2021): Drei Kameradinnen. Köln: Kiepenheuer&Witsch.

Link zum Roman auf der Homepage des Verlags

Link zum Wikipedia-Eintrag von Shida Bazyar

Copyright Coverfoto: Kiepenheuer&Witsch